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Titel
Eine Frau macht Politik. Marie Boehlen 1911-1999


Autor(en)
Lüscher, Liselotte
Erschienen
Zürich 2009: Limmat Verlag
Anzahl Seiten
240 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Anna Bähler

Marie Boehlen, als Sozialdemokratin, Juristin und Parlamentarierin eine der prägenden Figuren im Kampf um Stimmrecht und Gleichstellung der Frauen im Kanton Bern, kam 1911 als Tochter eines Nagelschmieds und Landwirts in Riggisberg zur Welt. Gegen den Widerstand ihrer Familie holte sie nach dem Besuch des Lehrerinnenseminars 1931 die Matur nach und studierte an der Universität Bern Rechtswissenschaften. 1939 erwarb sie das Fürsprecherpatent. Die Berner Erziehungswissenschaftlerin und SP-Politikerin Liselotte Lüscher hat sich in den letzten Jahren intensiv mit dem Leben dieser aussergewöhnlichen Frau befasst und publizierte nun die vorliegende Biografie.

Die Autorin fächert die Lebensgeschichte in fünf Kapitel auf, in denen sie die Grundthemen behandelt, die das Leben Marie Boehlens bestimmten. Sie beginnt mit dem Kampf um die Frauenrechte. Hier bettet sie das Engagement Marie Boehlens in eine detaillierte Zusammenfassung des Einsatzes der Bernerinnen für das Frauenstimmrecht ein. Die weiteren Kapitel stellen mehr die Person Marie Boehlen in den Vordergrund, ohne dass das gesellschaftliche und politische Umfeld vergessen geht. Sie befassen sich mit der lange unbefriedigenden beruflichen Karriere Marie Boehlens, ihren Aktivitäten als Mitglied der SP, ihrer Arbeit als städtische und kantonale Parlamentarierin sowie mit ihren Auslandreisen und ihrem internationalen Engagement.

Diesen fünf Kapiteln vorangestellt ist eine Beschreibung der Abschiedsfeier für Marie Boehlen vom 7. Dezember 1999 in der Petruskirche, was eine behutsame Annäherung an die Persönlichkeit von Boehlen erlaubt. Hier erhalten die Lesenden einen ersten Überblick über den Lebenslauf. Einen weiteren, diesmal visuellen Einblick gibt ein in die Mitte des Buchs eingeschobenes dreissigseitiges Kapitel, das chronologisch angeordnete Fotografien mit kurzen Bildlegenden enthält. Das abschliessende Kapitel «Späte Würdigungen» rundet die Biografie ab und zeigt anhand einiger Zeitungsartikel und zweier Preise, die Marie Boehlen 1985 und 1995 erhielt, die Bedeutung dieser Frau.

Die thematische Strukturierung des Buchs ermöglicht es, sich gezielt mit den einzelnen Aspekten zu beschäftigen. Doch sie bringt auch Wiederholungen mit sich, denn zentrale Ereignisse im Leben Marie Boehlen spielten in alle Lebensbereiche hinein. Innerhalb der einzelnen Kapitel kommt es gelegentlich ebenfalls zu Wiederholungen, die sich durch ein sorgfältigeres Lektorat wohl hätten vermeiden lassen. So hätte es beispielweise durchaus gereicht, lediglich einmal zu erwähnen, dass 1953 für die kantonale Initiative für das Frauenstimmrecht in den Gemeinden 33 655 Unterschriften eingereicht worden waren – die Zahl müsste nicht auf der nächsten Seite wiederholt werden. Ebenfalls den Lesefluss stören häufige, meist sehr kurz gehaltene Originalzitate aus der unveröffentlichten autobiografischen Lebensgeschichte, die Marie Boehlen in der ersten Hälfte der 1980er-Jahre verfasst und mit dem Titel «Dreissig Jahre zu früh» versehen hatte.

Die vorliegende Biografie gibt einen interessanten, vielseitigen und faktenreichen Einblick in das Leben Marie Boehlens. Sie zeigt eindrücklich, dass es diese Frau nicht leicht mit ihrem Umfeld, ihrem Leben und nicht zuletzt auch mit sich selbst hatte. Niederlagen in ihrer beruflichen und politischen Laufbahn empfand sie immer wieder als persönliche Kränkungen. Liselotte Lüscher lässt zudem durchblicken, dass Marie Boehlen auch für andere keine einfache Zeitgenossin war und mit ihrer kantigen Persönlichkeit und ihrem gelegentlich unflexiblen Verharren auf ihrem Standpunkt aneckte. Damit schrieb Liselotte Lüscher in verdankenswerter Weise eine Biografie, die sich der ganzen Persönlichkeit Marie Boehlens annimmt, sie kritisch porträtiert und eine kluge und kämpferische Frauenrechtlerin nicht einfach beweihräuchert.

Zitierweise:
Anna Bähler: Rezension zu: Lüscher, Liselotte: Eine Frau macht Politik. Marie Boehlen 1911–1999, Zürich, Limmat Verlag, 2009. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 72, Nr. 2, Bern 2010, S. 182-183.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 72, Nr. 2, Bern 2010, S. 182-183.

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